Bei meiner heutigen Buchvorstellung handelt es sich um ein Jugendbuch namens Simpel*, laut Hersteller empfohlen ab 14 Jahren. Marie-Aude Murail wurde 2006 für dieses Buch mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Und das völlig zurecht.
Simpel ist ein 22jähriger junger Erwachsener, auf Grund einer geistigen Behinderung allerdings auf dem Stand eines dreijährigen. Sein 17jähriger Bruder Colbert kümmert sich seit einiger Zeit intensiv um Simpel.
Tragik oder Komik?
Nachdem die Mutter stirbt und der Vater wieder heiraten will, hat dieser keine Zeit mehr für seinen behinderten Sohn und steckt ihn in eine Psychiatrie. Dort vegetiert Simpel jedoch schon nach kurzer Zeit vor sich hin. Colbert erträgt das nicht länger und holt Simpel dort heraus. Zunächst ziehen die Brüder zu ihrer Tante. Da das aber auch nicht die beste Lösung ist, suchen sie eine Wohnung. Das gestaltet sich natürlich schon äußerst merkwürdig. Wenn man Simpel in einen Anzug mit Krawatte steckt, sieht natürlich zunächst keiner, dass er geistig zurückgeblieben ist. Die Menschen um ihn herum sind freundlich, finden ihn vielleicht etwas seltsam. Doch schon nach einer kurzen Unterhaltung sind die meisten Leute empört. Sie erwarten ein erwachsenes Verhalten, bekommen dabei aber nicht mit, dass es kein böser Wille von Simpel ist, die Menschen zu erschrecken.
Colbert findet letztlich zwei freie Zimmer in einer bestehenden WG. Auch hier prallen Welten aufeinander. Zunächst sind die Mitbewohner von Simpel angewidert. Er leckt Kekse an und legt sie wieder in die Schale zurück. Die Feuerzeuge des Mitbewohners verschwinden spurlos. Und doch haben sie Simpel recht schnell ziemlich gern.
Ein Leben als Außenseiter?
Colbert versucht ein ganz normales Teenager-Leben zu führen. Er geht noch zur Schule um seinen Abschluss zu machen, entdeckt dort seine erste Liebe und ist dazu noch 24 Stunden, Tag und Nacht, für seinen Bruder da. Das schlaucht natürlich. Man muss kein Hellseher zu sein, um zu merken, dass Colbert alles für Simpel machen würde und dabei doch hin und wieder an seine Grenzen stößt. Gerade deshalb kann man ihm den einen oder anderen Ausraster nicht verübeln. Die Brüder finden Freunde unter den WG-Bewohnern und auch einer Mitschülerin und deren Familie. Es entsteht ein Zusammenhalt, den man so nicht erwartet hätte.
Die ganze Geschichte um Simpel strotzt vor witzigen Alltagssituationen, die man in Anbetracht des schwierigen Themas nicht erwartet. Es zeigt jedoch auch das teilweise schwierige Leben mit geistig behinderten Menschen, wie allein man von den Behörden gelassen wird, wie verständnislos die Menschen reagieren, so auch leider der Vater der beiden Brüder.
Simpel hat einen Stoffhasen: Monsieur Hasehase. Für ihn, sein bester Freund und Begleiter. Als Colbert und Simpel wie jeden Sonntag in die Kirche gehen, vergisst Simpel dort Monsieur Hasehase. Zunächst glaubt Colbert, dass es eine schlaflose Nacht für ihn wird. Denn Simpel kann ohne Monsieur Hasehase nicht schlafen. Doch zum Glück gibt es da noch den grummeligen alten Nachbarn… Den Rest müsst ihr selbst lesen.
Konfrontation
Immer wieder gibt es Mitmenschen, die negativ und mit Ablehnung reagieren; aus Angst und auch Unwissenheit. Sie können mit dieser Situation nicht umgehen, sind überfordert und zeigen es durch Missachtung.
Murail ist es gelungen, dem Leser die Augen zu öffnen. Mit viel Witz und Humor und ohne dabei den Ernst der Lage zu verlieren. Man lernt besser zu verstehen, wie das Leben mit Jemandem ist, der nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Ein Buch, dass nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene, sehr zu empfehlen ist. Vielleicht zeigt dadurch der ein oder andere in Zukunft mehr Verständnis im Umgang mit anderen Menschen.